Die Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel wie Reis, Mais und Weizen sind in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Die Gründe dafür sind vielfältig, darunter hohe Ölpreise, der schwächelnde Dollar und der gestiegene Bedarf in Indien und China. Besonders die Länder in Mittel- und Südamerika sowie Entwicklungsländer in Afrika leiden unter der Preisentwicklung -- inzwischen müssen sogar erste Entwicklungshilfeprojekte eingestellt werden, weil die Gelder für die Beschaffung der nötigen Nahrungsmittel einfach nicht mehr ausreichen.
Ein großer Faktor bei der Preissteigerung ist die weltweit explodierende Nachfrage nach Biokrafstoffen [
1], die inzwischen in etlichen Ländern wie den USA, Kanada und in Europa den Treibstoffen beigemischt werden. In Deutschland sind es derzeit fünf Prozent Ethanol bei allen Ottokraftstoffen -- bei einem Verbrauch von rund 30 Mrd. Litern pro Jahr sind dies 1,5 Mrd. Liter Alkohol. Die geplante Einführung von E10 in 2009 hätte die Menge auf knapp 3 Mrd. Liter pro Jahr verdoppelt. Doch die deutsche Landwirtschaft ist nicht in der Lage, auch nur den heutigen Bedarf zu decken. Deutschland ist mit 21 Mio. Tonnen Weizen in 2007 zwar einer der größten Weizenproduzenten weltweit, daraus lassen sich aber nur rund 7,6 Mrd. Liter Ethanol gewinnen. Ohne Importe würden ein Viertel, und nach der Einführung von E10 knapp die Hälfte, der deutschen Weizenproduktion in den Tanks der Autos verschwinden. Drastisch höhere Nahrungsmittelpreise wären vorprogrammiert. Es gibt auch keine Flächen, die sich zusätzlich nutzen ließen -- die EU senkte im Herbst 2007 den Flächenstillegungssatz auf null [
2], sodass nahezu alle bewirtschaftbaren Flächen derzeit bereits für den Anbau genutzt werden.
Der Import von Ethanol im großen Stil, womöglich noch aus Übersee, stört jedoch nicht nur die Klimabilanz. Welchen Einfluss die Produktion und der Export von Biokrafstoffen der ersten Generation auf die Lebensmittelpreise hat, zeigt das Beispiel Brasilien, dem weltweit größten Ethanolproduzenten. Dort gehören Ethanolfahrzeuge (E85, 85 Prozent Alkohol, 15 Prozent Benzin) seit einigen Jahren zum normalen Stadtbild. Der Grund für die hohe Akzeptanz von Ethanolautos war nicht das Umweltbewusstsein, sondern der im Vergleich zum Benzin konkurrenzlos günstige Treibstoff.
Um den ständig steigenden Durst der Autos im In- und Ausland zu stillen, muss immer mehr Zuckerrohr zu Ethanol vergoren werden. Die steigende Nachfrage führte in den vergangenen Jahren dazu, dass immer mehr Zuckerrohr für die Ethanolindustrie angebaut wurde: 2007 wurden 20 Prozent mehr Ackerfläche für den Zuckerrohranbau genutzt als noch im Vorjahr. Während dessen ist die Ackerfläche für Nahrungsmittelpflanzen zurückgegangen, allein bei Reis um 10 Prozent, bei Bohnen und Kartoffeln um bis zu 14 Prozent in 2007. Bei den ständig steigenen Nahrungsmittelpreisen, allein Weizen wurde 2007 in Brasilien 50 Prozent teurer, wäre eigentlich mit einer Intensivierung der Nahrungsmittelproduktion zu rechnen, da der Anbau nun deutlich lukrativer ist als zuvor. Zuckerrohr für die Ethanolproduktion scheint jedoch noch gewinnbringender zu sein.
Auch Mittelamerika leidet unter den steigenden Weltmarktpreisen, in Mexico zum Beispiel kam es Anfang Februar sogar zu Massenprotesten [
3], weil Mais durch die Ethanolproduktion in den USA derart teuer geworden ist, dass sich der Preis des Hauptnahrungsmittels Tortillas gegenüber dem Vorjahr verdoppelt hat.
Haiti, das ärmste Land Amerikas, ist von den steigenden Lebensmittelpreisen wohl am stärksten betroffen. Hier müssen zwei Drittel der Bevölkerung mit nur einem Euro pro Tag auskommen. Für Reis oder Bohnen reicht das Geld längst nicht mehr, denn der Preis für diese Lebensmittel in Port-au-Prince hat sich seit Anfang 2007 verdoppelt. Und er wird weiter drastisch steigen, denn Haiti mit seiner brach liegenden Landwirtschaft ist nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen, sondern muss praktisch sämtliche Lebensmittel auf dem Weltmarkt kaufen und importieren. So können sich immer weniger Einwohner des Inselstaats die nötigen Grundnahrungsmittel leisten.
Um den ständigen Hunger wenigstens hin und wieder einmal vergessen zu können, isst man in der armen Bevökerung Lehm-Kekse [
4]. Der Lehm, in vielen Teilen der Welt Baumaterial, hierzulande unerwünschter Erdbestandteil auf Feldern, wird in den Bergen Haitis abgetragen und per LKW in die Städte wie Port-au-Prince gebracht. Dort wird er in den Elendsvierteln in großen Kübeln mit Wasser, einwenig Salz und Magarine vermischt, mit dem Löffel zu einem tellergroßen Lehmfladen geformt und auf den Dächern getrocknet. Einen Nährwert haben sie praktisch nicht, füllen aber wenigstens den Magen -- oder besser liegen wortwörtlich wie Steine im Magen, Magenschmerzen eingeschlossen. Seit die Lebensmittelpreise im letzten Jahr so stark angestiegen sind, floriert die Produktion der Erdklumpen erst richtig. Billiger wurden sie dadurch aber nicht, im Gegenteil, durch die gestiegenen Preise für den Kraftstoff der LKW und der Magarine kostet ein solcher Keks inzwischen knapp zehn Cent.
Ausgerechnet Ethanol soll Haiti aus der Krise führen: Der Brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva empfiehlt, man solle doch Zuckerrohr anbauen, um Ethanol herzustellen und zu exportieren. Dann könne man sich auch wieder die Lebensmittel vom Weltmarkt leisten. Doch das ist ein Teufelskreis: Anstatt die eigene Bevölkerung zu versorgen, macht man sich über den Exportweg nur noch mehr vom Weltmarkt mit seinen Währungsschwankungen abhängig, und die Ackerfläche wird für den Ethanolanbau verwendet anstatt zur Nahrungsmittelproduktion.
So lange Ethanol ein Biokraftstoff der ersten Generation ist, für dessen Herstellung Lebensmittel verwendet werden, wird sich das Problem "Essen oder tanken" nicht lösen lassen. Erst die zweite Generation verspricht nach momentanem Forschungsstand nicht nur umwelttechnisch, sondern auch moralisch sauberen Kraftstoff: Dort soll Zellstoff aus Stroh, Holz und anderen Pflanzenteilen und -abfällen zur Herstellung von Ethanol dienen. Dann muss allerdings darauf geachtet werden, dass nicht zu viele Ackerflächen mit Nutzpflanzen zur Biotreibstoff-Produktion bestellt werden und wie im Beispiel Brasilien der Anbau von Grundnahrungsmitteln zurückgeht.
Bis Biotreibstoffe der zweiten Generation zur Verfügung stehen, ist die Beimischung von Ethanol zu Benzin nicht nur umwelttechnisch fragwürdig, sondern auch moralisch -- denn so lange bedeutet tanken, dass ein anderer hungern muss.
(Mirko Dölle)[1]
http://www.cbc.ca/consumer/story/2007/05/22/corn.html[2]
http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/07/1402&format=HTML&aged=0&language=DE&guiLanguage=en[3]
http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,463692,00.html[4]
http://www.daserste.de/weltspiegel/beitrag_dyn~uid,69f424h86p1usmdv~cm.asp