Sind Politiker vertrauenswürdig?
Wie Andrea Ypsilanti auf dem Weg zur Macht ihr Wort bricht
Wie vertrauenswürdig sind Politiker? Dies ist in unserer Demokratie die zentrale Frage. Denn das Volk wählt Einzelpersonen (Erststimme) und Parteien (Zweitstimme), die vor der Wahl in ihren Wahlprogrammen versprechen, was sie nach der Wahl tun wollen, und was nicht. Und wenn wir dem jeweiligen Politiker und der Partei vertrauen können, geben ihnen bei der Wahl unsere Stimme.
Doch damit endet unser Einfluss auf die Politik in diesem Lande. Wenn wir von der Urne zurück sind, müssen wir hoffen und beten, dass sich unsere gewählten Volksvertreter auch wirklich an das halten, was sie uns zuvor hoch und heilig versprochen haben. Wir müssen also darauf bauen, keinem Lügner oder Betrüger aufgesessen zu sein.
In der Praxis ist es mit der Worttreue unserer Politiker nicht all zu gut bestellt. Wer erinnert sich nicht an das heilige Versprechen von SPD und CDU bei der Bundestagswahl 2005, man werde keinesfalls eine große Koalition bilden? Oder an Andrea Ypsilantis Verspechen bei der Hessischen Landtagswahl 2008, sie werde sich keinesfalls als Ministerpräsidentin zu Wahl stellen, wenn sie nicht auch ohne die Linke eine stabile Mehrheit zusammenbekäme.
Nach der Wahl war den Parteien dann die Macht näher als der Wähler, der ihnen sein Vertrauen schenkte -- wir bekamen eine große Koalition auf Bundesebene und sahen eine Andrea Ypsilanti ihr fundamentales Wahlversprechen über Bord werfen und, die Linke heftig umwerbend, händeringend um den Posten als Ministerpräsidentin kämpfen. Doch dabei kam ihr die Abgeordnete und Parteigenossin Dagmar Metzger in die Quere -- sie wollte den Vertrauensbruch Ypsilantis nicht mittragen und verweigerte ihr daher die Stimme.
Gute Idee, denn Frau Ypsilanti hatte schon zu dem Zeitpunkt gezeigt, wie weit man ihr und ihrem Wort vertrauen kann. Schade nur, dass nicht noch mehr SPD-Abgeordnete den Mut hatten, Frau Ypsilanti an ihr zentrales Wahlversprechen zu erinnern.
Sollte sich irgend ein Politiker wundern, warum das Ansehen seines Berufsstands in der Bevölkerung irgend wo zwischen Gebrauchtwagenhändler und Zuhälter rangiert, braucht er sich nur die klaffende Kluft zwischen Wahlversprechen und der nach der Wahl tatsächlich verfolgten Politik anzusehen. Immer öfter sind keine Gemeinsamkeiten mehr zu erkennen.
Was also soll das Volk noch wählen? Frau Ypsilanti hat eindrucksvoll gezeigt, dass der Wähler weder den Parteien noch den einzelnen Politikern vertrauen kann -- jedenfalls den meisten nicht, sieht man sich die breite Unterstützung von Ypsilantis Kurs durch die hessischen Abgeordneten von SPD, den Grünen und den Linken an. Von Frau Metzger abgesehen scheint niemanden dieser offensichtliche Wortbruch zu zu stören. Die heuchlerische Empörung der CDU braucht man wohl nicht zu kommentieren, sie dient nur dem eigentliche Machterhalt
Und was lernen wir daraus? Bei Politikern kann man sich nur eines sicher sein: Sie werden mit allen Mitteln versuchen, die Macht zu ergreifen und zu erhalten. Das ist das einzige Versprechen, das man ihnen abnehmen kann. Der Rest der Wahlprogramme ist nur Ballast, dessen man sich auf dem Weg zur Macht bei erstbester Gelegenheit entledigt. Wenn morgen eine Wahl wäre -- ich würde nicht hingehen, dafür fehlt mir das Vertrauen in die Politik. Wenigstens die Nichtwähler werden mich nie enttäuschen, denn die haben kein Wahlprogramm, das sie brechen könnten.